Dr. Roland März (Kurator Neue Nationalgalerie Berlin a.D.)
aus Katalogtext: Malerei 2004 – 2006
Kerstin Heller führt nicht die 'Idee', sondern die Entdeckerlust im Zeichenhaften die Hand. Erste Akzente bilden sich auf der Untermalung der Leinwand. Bewegliche Keime der Form, die auf dem Erlebnisfeld weiter wachsen: Punkte und lineare Fragmente. Pflanzliches kommt mit herauf, vom harten Winkel gebrochen. Intuitiv reift der begründete Entscheid zur strukturellen Farbform heran. Diese wird im Ausgleich zwischen Bewegung und Stabilität gehalten. In bedächtigen Schlägen mit dem Spachtel wächst die Farbe vom Grunde herauf, Schicht auf Schicht. Manchmal ist die flüssig durchscheinende Farbe in einem einzigen Zug über die Leinwand gezogen. Farbe ist 'Kraft' und werdende Form. Es entstehen Felder aus Gittern und schwingenden Linien. In den kleinen Quadraten herrscht in der Verklammerung von rissigem Strich und runder Form die lakonische Zeichensetzung. Im Aufritzen der Fläche werden die darunter liegenden Schichten der Farben wieder frei gelegt. Lichtspuren sichtbarer Energie treten hell aus dem Nichts und der Verlorenheit im Schwarz hervor. Das Langsame und das Momentane prägen Hellers malerisches Handeln. Ziel kann die wesenhafte Ruhe im Bild sein. Versunkenheit im ersehnten Raum von Leere.
Innerlichkeit der Formung gilt hier mehr als dekorative Schönheit. Das schon Erreichte wird immer wieder in Zweifel gezogen, als Formbestand ausgelöscht und übermalt. Die Zeichen 'einfach' halten, ohne den inneren Reichtum der Gestalt im Geistigen zu verlieren. Das neue Bild ist letztlich die Summe von Zerstörungen, die besteht. Die Titel, einige mit japanischen und tibetischen Anklängen, entstehen erst nach den fertigen Bildern. Relikte geistesgeschichtlicher Erinnerung und der Begegnung mit sich selbst. Sie bedeuten etwas, doch nicht alles. Diese Malerei ist die vitale Bild-Findung des Unbeabsichtigten, die das Schaffen in der Balance von Spiel und Ernst im Flusse hält. Dem Eigentlichen im Tun näher zu kommen, kann das heißen, in dieser Malerei des Atmens auf der Fläche ganz für sich 'sein'.